Eine leichte Gänsehaut überzog Maddies Körper, und ihr Herz schlug bis zum Hals – aus Vorfreude, sagte sie sich. Alles fühlte sich geradezu unwirklich an. In Unterwäsche stand sie in der Umkleidekabine und genoss diesen Moment. Zumindest versuchte sie das. 

Heute war der Tag, an dem sie ihr Brautkleid abholte, das Kleid, das sie sich ausgesucht hatte, um in zwei Wochen darin zu heiraten. Wenn ihr Traum von einer Märchenhochzeit endlich wahr werden würde. 

Ihr Blick fiel in den Spiegel und damit auf die Röllchen an ihren Hüften. Würde die Corsage sie gut verstecken? Dank ihrer figurformenden Unterwäsche sah ihr Bauch flacher aus, auch wenn sie sich in dem engen Mieder eingequetscht fühlte. 

Von draußen erklang die Stimme der Verkäuferin, freundlich, aber auf eine ungeduldige Art bestimmt: »Sind Sie bereit, Frau Winter?« 

»Ja«, antwortete Maddie ein wenig heiser, räusperte sich und richtete sich gerade auf. Jetzt ging es los. »Ich bin so weit.« 

Der Vorhang wurde beiseitegezogen, und die Verkäuferin, deren Namensschild sie als Frau Hofstetter auswies, trat mit der Robe in den Händen ein. Der Stoff in leicht gebrochenem Weiß schimmerte zart im Licht. 

»Hier ist das gute Stück«, sagte Frau Hofstetter mit einem Lächeln und hängte das Kleid an einen Haken. Ihre Augen wanderten kurz zu Maddies Füßen. »Sind das Ihre Hochzeitsschuhe? So flach?«, fragte sie mit einem Unterton, der bestenfalls erstaunt war. 

»Ja, ich weiß, etwas untypisch. Aber bequem. Ich muss sie ja schließlich den ganzen Tag tragen«, erklärte Maddie. Sie verkniff sich die Anmerkung, dass sie niemals Absätze trug, weil sie sich in High Heels ähnlich elegant bewegte wie ein Elefant auf Rollschuhen. 

 »Verstehe. Dann mal bitte die Arme nach oben«, wies Frau Hofstetter Maddie an und machte sich daran, ihr das Kleid über den Kopf zu streifen. Die Seide fühlte sich kühl auf Maddies Haut an und rutschte ganz leicht ihren Körper herunter, als der Reißverschluss am Rücken geschlossen wurde. Vorsichtig atmete Maddie aus. Es passte wie angegossen. Von ihrem Herzen fiel ein kleiner Stein. In den letzten Monaten hatte sie immerhin fünf Kilogramm abgenommen. Es war eine Qual gewesen, denn unglücklicherweise gehörte Maddie nicht zu den Menschen, die sich nach dem Sport super fühlten. Meistens war sie danach einfach nur völlig fertig. Vielleicht war ihr Diäterfolg deshalb überschaubar. Sie hatte sich extra für eine klassische A-Linie entschieden, den Taillenschmeichler unter den Kleiderschnitten. 

»Einmal umdrehen, bitte.« 

Maddie trat vor den großen Spiegel und hob den Kopf. Da stand sie, in ihrem Hochzeitskleid. Sie sah aus wie eine richtige Braut. Ihre Haare fielen in leichten Locken über ihre nackten Schultern, wo blütengeschmückte Träger das Kleid hielten. Ihr Blick wanderte über den Stoff, der sanft an ihren Formen entlangfloss. Die Spitze umschmeichelte ihren Busen, und der weite Rock fiel in weichen Wellen bis zum Boden. 

»Das haben wir gut hinbekommen, finde ich«, stellte Frau Hofstetter fest und zupfte eine Blüte am Dekolleté zurecht. Kritisch musterte sie die letzten Änderungen, die noch vorgenommen worden waren. 

»Ja«, brachte Maddie hervor und nickte. Sie hob ihr Kinn ein wenig, drehte sich hin und her und stellte sich vor, wie sie in diesem Kleid tanzen würde. 

»Das Modell sieht also auch in großen Größen gut aus«, fügte die Verkäuferin hinzu und rief Maddie damit unweigerlich ins Gedächtnis, dass sie nicht der gängigen Vorstellung einer Hochglanzbraut entsprach. Keine makellose Silhouette wie aus einem Magazin, sondern eine Frau mit echten, weichen Linien. 

»Ja, genau«, sagte Maddie geistesabwesend. Sie bemühte sich wie immer, den Kommentar zu überhören und sich in diesem besonderen Moment nicht die Laune und verderben zu lassen. 

»Meinen Sie, Ihr Zukünftiger wird auch zufrieden sein?« 

Maddie dachte an Vincent. Den Mann, den sie vor zwei Jahren kennengelernt hatte, ganz unromantisch über eine Partnerbörse. Niemals hätte sie damals gedacht, dass sie Vincent einmal heiraten würde – diesen schusseligen Typen, der zum ersten Date zu spät kam und deutlich kleiner war, als er im Profil angegeben hatte. Er war eigentlich nicht ihr Typ gewesen. Aber irgendwie hatte sich mit der Zeit doch der Zauber der Liebe entfaltet, und sie waren ein Paar geworden. Für immer. »Er wird begeistert sein«, mutmaßte sie, ohne sicher zu sein. 

»Wann ist denn der große Tag?« 

»Am Samstag in zwei Wochen«, erklärte Maddie und fügte stolz hinzu: »Wir feiern auf Burg Rosenstein.« 

Sie meinte, in Frau Hofstetters Gesicht gleichermaßen Überraschung und Anerkennung zu erkennen. Die Burg war weit bekannt als beliebte Hochzeitslocation, für ihre majestätische Lage und die historischen Säle, die von Kronleuchtern erhellt wurden. Draußen erstreckte sich ein Garten mit einem kleinen See, auf dem Schwäne schwammen. Bei Dämmerung wurde die gesamte Kulisse von Lichterketten erleuchtet und wirkte dann hinreißend magisch. 

Schon als Kind hatte Maddie davon geträumt, an diesem Ort zu heiraten. Doch einen Termin zu ergattern, war nahezu unmöglich, die Burg war stets Jahre im Voraus ausgebucht. 

Gleich am Morgen nach Vincents Antrag hatte Maddie bei der Burgverwaltung angerufen und ihr Glück kaum fassen können, als sie eine Zusage bekommen hatte. Noch dazu für einen Termin in wenigen Monaten. Das Schicksal schien es gut mit Vincent und ihr zu meinen. 

»Burg Rosenstein ist eine ganz ausgezeichnete Wahl für eine Hochzeit. Das wird sicher ein wundervolles Fest.« Frau Hofstetter blinzelte. 

»Ja, das glaube ich auch.« Maddie strahlte jetzt und sah sich in Gedanken auf Vincent zugehen. Die freie Trauung sollte direkt am See stattfinden und genau dort würde er sie zum ersten Mal in ihrem Kleid sehen, am Arm ihres Vaters. Hoffentlich würde sie vor lauter Aufregung nicht schon in diesem Moment weinen. 

Frau Hofstetter riss sie aus ihren Träumereien. »Also, die vereinbarten Änderungen sind alle gelungen. Haben Sie denn noch Wünsche für das Kleid?« 

Maddie atmete tief durch und betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Ihre Röllchen an den Hüften waren gut versteckt, ihr Busen sah wirklich vorteilhaft aus. Besser ging es nicht, oder? Nur ihr Gesicht wirkte darin so … tja, wie? Sie sah angespannt aus. Und ihr Lächeln wirkte ein bisschen aufgesetzt. Aber das lag sicher am Stress der letzten Tage. »Es ist perfekt. Ich würde es dann jetzt gern mit nach Hause nehmen.«